Das Einmaleins der gendergerechten Sprache
10.10.2022
Ob Sternchen, Schrägstrich oder Paarform – der Trend des sogenannten Genderns ist auch in der Schweiz angekommen und nicht ganz unumstritten. Während die einen es zelebrieren, dass die weibliche Form ihren Platz im Sprachgebrauch findet und so für mehr Gleichberechtigung sorgt, kritisieren andere die Leserlichkeit und den Fluss von Texten. Wir waren bei der letzten jährlichen Konferenz des Schweizerischen Übersetzer-, Terminologen- und Dolmetscherverbands ASTTI équivalences 2021 vor Ort und haben für Sie Tipps zur richtigen Schreibweise gesammelt und wie ein Text den Balanceakt aus gendergerecht und leserlich meistern kann.
Gendern in der Schweiz – Bedeutung und Geschichte
Starten wir mit den Basics: Im Allgemeinen wird zwischen Gender und Sexus unterschieden, auch wenn diese Begriffe im alltäglichen Gebrauch oft als Synonyme verwendet werden.
Sexus ist das biologische Geschlecht eines Lebewesens bei seiner Geburt. Gender bezeichnet die Geschlechtsidentität eines Menschen als soziale Kategorie und wird von jeder Person selbst bestimmt, zum Beispiel weiblich, männlich oder non-binär.
Damit sich in Texten auch alle Menschen angesprochen fühlen, entstand die gendergerechte Schreibweise. Das Gendern, oder auch Gendering genannt, ist allerdings kein neues Phänomen, wie S. Höfler in seinem Vortrag bei équivalences 2021 mit einem kleinen zeitlichen Überblick gezeigt hat:
- 1970 erschienen bereits die ersten Arbeiten zum gendergerechten Sprachgebrauch in der Schweiz.
- 1981 wurde die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau in die Bundesverfassung aufgenommen.
- 1995 veröffentlichte die Bundeskanzlei die erste Auflage des Leitfadens zum geschlechtergerechten Formulieren (die Binnen-I-Schreibweise).
- 2007 wurde der Grundsatz des geschlechtergerechten Formulierens im Sprachengesetz.
- 2009 folgte die zweite Auflage des Leitfadens zum geschlechtergerechten Formulieren.
Doch nicht nur alle Geschlechter sollen sich in inklusiven und gendergerechten Texten angesprochen fühlen, sondern auch Menschen unterschiedlicher Herkunft, verschiedener Religionen usw. Wie können wir all das in verständliche, korrekte und genaue Texte packen, die den Stil der Sprache beibehalten? Die Antwort auf diese keine Herausforderung liefert der nächste Teil.
Richig gendern – so geht’s
Die Schweizerische Bundeskanzlei hat sich dieses Problems angenommen und den Leitfaden zum geschlechtergerechten Formulieren veröffentlicht. Dieser soll nicht nur für eine korrekte und inklusive Schreibweise sorgen, sondern auch dafür, dass der Lesefluss nicht gestört wird.
In diesem Leitfaden definiert sie die redaktionellen und formalen Qualitätsstandards amtlicher Texte und gewährleistet so, dass ihre veröffentlichten Texte sachgerecht, klar und bürgerfreundlich formuliert sind und die Grundsätze der sprachlichen Gleichbehandlung der Geschlechter in allen Amtssprachen erfüllen. Und da eine Tabelle mehr sagt als tausend Worte, haben wir die wichtigsten Punkte hier für Sie zusammengefasst:
Nach einem Blick auf die Tabelle können wir Ihnen nicht verübeln, wenn Sie ein wenig verwirrt sind. Schliesslich begegnen uns fast täglich Sternchen, Doppelpunkt, Binnen-I usw.
Wie bereits erwähnt, handelt es sich hierbei lediglich um einen Leitfaden der Schweizerischen Bundeskanzlei, der nicht in Stein gemeisselt ist. Geschlechtergerechtes Schreiben ist auch mit einer ganzen Menge Subjektivität verbunden. Kurzum: Geschmackssache. Während sich die einen an diesen kreativen Schreibweisen nicht stören, haben andere Probleme damit. Welche genau, sehen wir uns gleich näher an.
Kreative gendergerechte Schreibweisen sind nicht immer leicht umzusetzen
Diese Schreibweisen stuft zum Beispiel der Bundesrat als problematisch ein. Er erachtet Gendern mit Sternchen, Mediopunkt, Gendergap usw. als zu experimentell und sieht sogar mögliche sprachliche, sprachpolitische und rechtliche Probleme. Andere stören sich einfach an der Lesbarkeit, Aussprache und Bedeutung. Am Beispiel «Lehrer*in» wird das vermeintliche Problem klarer.
Lesbarkeit:
Für Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung ist es schwierig, den Stern als Stern zu erkennen. Ausserdem werden Wortbilder, die wir Menschen uns unbewusst einprägen, um schneller lesen zu können, auseinandergerissen. Sehen wir zum Beispiel das Wort «Lehrer», lesen wir nicht jeden Buchstaben einzeln, sondern realisieren relativ schnell, dass es sich um ein Wort mit den Buchstaben L, E und R und wahrscheinlich um den Begriff «Lehrer» handelt. Wird dieses Wortbild jedoch zerstört, bleibt unser Auge hängen und wir können nicht mehr gleich schnell lesen.
Aussprache:
Wie soll dieses Wort ausgesprochen werden, damit sich einerseits alle angesprochen fühlen und andererseits der Sprachfluss erhalten bleibt? Viele machen bei dem * eine Pause, sodass zuerst die männlichen Lehrer, danach (in der Pause) die non-binären Lehrer und zum Schluss die weiblichen Lehrer angesprochen werden. Wird diese Schreibweise in einem Text mehrfach verwendet, wirken die vielen «gesprochenen» Pausen jedoch schnell störend und verwirrend.
Bedeutung:
Während sowohl die weibliche als auch die männliche Form mit «Lehrer*in» angesprochen wird, ist nicht klar, ob das nun auch non-binäre Personen beinhaltet, die sich weder als weiblich noch männlich definieren. Viele haben auch ein Problem damit, dass manche Wörter in dieser Form einfach nicht existieren. Klar wird das am Begriff «Ärzt*in» – die männliche Form ist schliesslich nicht «Ärzt» sondern «Arzt».
Wie wir sehen können, scheiden sich bei der geschlechtergerechten Sprache und vor allen Dingen bei den unterschiedlichen Schreibweisen die Geister. Doch wie sieht es eigentlich bei anderen Sprachen aus? Sehen sie sich vor dem gleichen Problem und wie lösen sie es?
Gendern in anderen Sprachen
Das Gendern gestaltet sich nicht in allen Sprachen gleich einfach beziehungsweise gleich schwierig. In romanischen Sprachen ist es beispielsweise relativ aufwändig, da hier auch in anderen Wortkategorien Anpassungen vorgenommen werden müssen. Vergleichen wir einen deutschen mit einem italienischen Satz:
«Die Ärzte und Ärztinnen sind verpflichtet, ehrlich zu sein.»
«I dottori e le dottoresse sono obbligati/obbligate ad essere onesti/oneste.»
Da im Italienischen auch beispielsweise Adjektive an die weibliche bzw. die männliche Form angepasst werden müssen, ist das Gendern hier mit wesentlich mehr Aufwand verbunden und um einiges komplizierter als im Deutschen.
Doch gibt es eigentlich auch eine Sprache, in der das Gendern überhaupt kein Problem darstellt, oder zumindest kaum? Ja, die gibt es. Im Englischen ist alles so allgemein gehalten, dass es das Gendern praktisch inklusive gibt.
Für alle anderen Sprachen vertrauen Sie am besten auf Profis. Als renommiertes Übersetzungsbüro in der Schweiz können wir Ihnen unter die Arme greifen und jegliche Texte genau so schreiben und übersetzen, wie Sie es sich wünschen. Egal ob à la Schweizerischer Leitfaden oder mit Genderstern, Doppelpunkt & Co.